Mein Kloster-Tagebuch:
Schweigen, Stille und ich. Dreieinhalb Tage im Kloster Arenberg.

Ankunft im Kloster Arenberg
Ich bin nervös. Mein Mann fährt mich zum Kloster, und ich entscheide beim Aussteigen, dass ich ihn schon vor der Tür verabschieden möchte. Ich traue mir selbst nicht und habe Angst, dass ich in Tränen ausbreche – warum? Keine Ahnung. Ich bin nur 16 Minuten von zu Hause entfernt, und es sind nur 3,5 Tage. Und trotzdem: Mein Gefühl sagt Abschied, Trauer, Gefahr.
Ich werde freundlich empfangen, bekomme eine knappe Einweisung und erhalte einen Button, der mich als eine Person ausweist, die nicht spricht und nicht angesprochen werden möchte. Das, was ich mir in den Wochen zuvor so selig herbeigewünscht habe, fühlt sich auf einmal nach einem selbst gewählten Ausschluss von der Gemeinschaft an.
Ein wenig fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt. Damals, als meine Eltern mich mit sechs Jahren zum Bahnhof brachten, damit ich zusammen mit fünf fremden Kindern und einer mir unbekannten Betreuerin für vier Wochen zur Kur fahre. Ein Zeitraum, der für eine Sechsjährige eine Ewigkeit bedeutet.
Es fühlt sich also nach Abschied an und nach Abgeschiedenheit.
Ich schaue mir den Anstecker an. Er ist unspektakulär und unscheinbar. Aber er fühlt sich komisch in meiner Hand an, so, als ob es jemand geschafft hätte, das Gefühl Einsamkeit auf eine kleine Metallscheibe zum Anstecken zu drucken.
Ich reiße mich zusammen, um am Empfang nicht in Tränen auszubrechen, und marschiere zielstrebig in Richtung meines Zimmers.
Trotz oder gerade wegen meiner inneren Aufruhr fällt mir auf, wie schön dieser Ort ist und wie viel Überlegungen in die Gestaltung geflossen sind.



Mein Zimmer ist gemütlich und zweckmäßig. Der graue Teppich will so gar nicht zu den knallbunten Vorhängen passen, und die Möbel lassen mich an die Wohnung meiner Oma denken.
Aber das ist okay, ich bin schließlich nicht wegen des spektakulären Designs hier.
Ja, weswegen bin ich eigentlich hier?
Ich habe den Wunsch, mich für ein paar Tage aus allem herauszuziehen. 3,5 Tage ohne Verpflichtungen und Termine, ohne Anforderungen. Nur mit mir selbst und meinen Gedanken.
Ich stelle meinen Koffer ab und stecke mir vor dem Spiegel den Button an, der mich – meinem Gefühl nach zu urteilen – zur absoluten Einsamkeit verdammt.
Jetzt fließen doch ein paar Tränen.
Ich gebe mir eine Minute und fange dann ganz langsam an, mich häuslich einzurichten. Das Ausräumen und Aufstellen meiner persönlichen Dinge holt mich wieder zurück auf den Boden der Tatsachen.
Als ich 10 Minuten später zufrieden mit dem Ergebnis bin, fühle ich mich auch wieder innerlich stark genug, mein Zimmer mit dem „Button der Einsamkeit“ am Pullover zu verlassen.

Eigenartig – allein die Vorstellung, mein Zimmer zu verlassen, hat mir beim Betreten des Zimmers noch Angst gemacht. Werden die anderen einen Bogen um mich machen? Werde ich komisch angeschaut oder so behandelt, als wäre ich Luft?
Was tue ich, wenn mich jemand anspricht? Ich kann mich doch nicht einfach umdrehen und in die andere Richtung gehen! Wie gibt man mit Mimik und Händen zu verstehen, dass man nicht sprechen wird?
Bereits jetzt kommen mir meine Gedanken von vor ein paar Minuten albern vor. Wird schon klappen.
Ich bin neugierig und möchte das schöne große Haus entdecken und wissen, wo ich alles finde, was auf dem Willkommenszettel steht.
Ich stecke mir meinen Schlüssel ein und schiebe mich bedächtig zur Tür hinaus. Sehr langsam bewege ich mich durch das große Gebäude, laufe Treppen hoch und runter, fahre mit unterschiedlichen Fahrstühlen und stelle fest, dass es mir hier wirklich gut gefällt.
Ich bin jetzt wieder entspannter und zuversichtlich, dass meine Entscheidung für die Auszeit im Kloster richtig war.
Ein ganz neues Lebensgefühl
Ein ganz neues Lebensgefühl! Genau das sind meine Gedanken, als ich am ersten Tag nach einem kurzen Frühstück, einem Mini-Spaziergang ums Haus und einer wortlosen Anmeldung zur Wirbelsäulengymnastik auf dem Bett liege und aus dem Fenster schaue.
Ich muss über mich selbst schmunzeln. „Albern“, ich bin gerade mal 18 Stunden hier – und dann solche Gedanken.
Aber nach einer Prüfung stelle ich fest: Es stimmt.
Mein normaler Tagesablauf ist sehr strukturiert und vor allem voll. Keine Zeit für Fragen wie: Wonach steht mir eigentlich gerade der Sinn? Was würde ich jetzt gerne tun?
Es fühlt sich tatsächlich gerade nach einem ganz anderen Leben an.
Es ist definitiv auch ganz anders als Urlaub. Ich plane gerne und viel. Schon vorher weiß ich, was ich mir anschauen werde und erleben möchte.
Umgeben von meiner Familie und mit meiner To-do-Liste ist Urlaub vom Gefühl her definitiv etwas anderes.

Vom Ablauf hier im Kloster wusste ich nur: Ich habe ein Zimmer, es gibt drei Mahlzeiten und ich kann den Aufenthalt in Schweigen verbringen.
Das war Absicht, denn diese Auszeit sollte ganz anders ablaufen als die Unternehmungen, die ich sonst mache.
Mit Genugtuung stelle ich gerade fest, dass mir das gelungen ist. Denn von Minute zu Minute zu entscheiden, was ich gerade tun möchte, und meinen Impulsen einfach zu folgen, ist für mich: „Ein völlig neues Lebensgefühl.“
Es ist weg !

Das schöne Gefühl von gestern – wie weggeblasen.
Was ist passiert?
Ich spüre es schon beim Aufwachen. Dieses Gefühl, das ich auch zu Hause in meinem Alltag in letzter Zeit häufiger spüre. Ein bohrendes Gefühl der Unzufriedenheit, fast so, als würde etwas nicht richtig sein.
Nun liege ich hier im Klosterbett und frage mich, wo das herkommt.
Ich bin gesund, führe eine erfüllte Partnerschaft, und meine Selbstständigkeit läuft weiter an. Habe ich überhaupt das Recht, mich so zu fühlen?
Und wer vergibt dieses Recht eigentlich?
Und warum zum Henker rechtfertige ich mich überhaupt vor mir selbst?
Ich bin frustriert und wütend. Frustriert, weil ich nicht greifen kann, warum ich mich jetzt so fühle. Und wütend, weil ich es gerade nicht ändern kann.
Also entscheide ich mich, erst mal zum Frühstück zu gehen.
Die Gesichter, in die ich beim Frühstück blicke, sehen heute missmutig aus. Das liegt bestimmt am Frustration-Filter, durch den ich heute schaue.
Ich habe es eilig, nach dem Frühstück zurück auf mein Zimmer zu kommen. Ich möchte schreiben. Das hilft mir, meine Gedanken zu ordnen und eine Lösung zu finden. Und die habe ich nach dem Schreiben:
Ich kann im Augenblick nicht ändern, wie ich mich fühle, und ich nehme es jetzt an. Dieses Gefühl gehört genauso zu mir wie die schönen Gefühle.
Also entschließe ich mich, in die Meditation zu gehen und dem Gefühl in meinem Körper nachzuspüren.


Schluss mit Schweigen
Am dritten Tag habe ich Heimweh.
Ich sehne mich nach meiner Familie und fühle mich abgeschnitten.
Ich spüre einen starken Widerstand in mir, als ich vor dem Mittagessen nach dem Schweige-Button greife, um ihn anzustecken.
Und ich fälle eine Entscheidung: Ich habe genug geschwiegen.
Ich verbringe das Mittagessen trotzdem in Schweigen, aber es fühlt sich jetzt leichter an.
Während meines Spaziergangs im Park genieße ich noch mal die liebevoll angelegten Anlagen des Klosters und fühle mich glücklich und frei.
Auf der hohen Bank, auf der man so schön die Beine baumeln lassen kann, setze ich mich in die Sonne.
Ich lasse mir die letzten Tage noch einmal durch den Kopf gehen.
Ich habe erreicht, was ich mir vorgenommen habe:
Mich ein paar Tage aus allem herauszuziehen, nichts müssen, nicht sollen, fühlen wie es ist, einmal ganz allein mit mir und meinen Gedanken zu sein.
Es war eine tolle Erfahrung, und sie hat mich wieder ein Stück näher zu mir gebracht.

Meine Erkenntnisse aus diesen Klostertagen:
Das darf mit einem Augenzwinkern gelesen werden 😉
- Nicht sprechen bedeutet nicht, nicht kommunizieren
- Gefühle kommen ungefragt – und bleiben auch gern mal länger.
- Ich langweile mich nicht wenn ich auf mein Handy verzichte.
- Es ist weder langweilig, noch beängstigend für mich, ganz allein mit mir und meinen Gedanken - welche eine Erleichterung 🙂
- 3,5 Tage ohne Verpflichtungen? Unbedingt öfter machen! Und nein, Wäscheberge zählen nicht als Freizeitgestaltung.
- Achtsamkeit gelingt einfacher, wenn man langsam macht.
- Unproduktiv sein ist ok.
- Man hat super Ideen wenn man nicht von Arbeit oder Handy abgelenkt wird, z.B. Handstand üben.
- Allein-Zeit ist wichtig und wertvoll.
- Ganz wichtig: Manchmal muss man einfach raus aus allem – nur um festzustellen, auf was man sich zu Hause freut.